Ausreisesperre gegen Mesale Tolu in Türkei aufgehoben

Die wegen Terrorvorwürfen in der Türkei angeklagte deutsche Journalistin Mesale Tolu darf das Land verlassen. Ihre Ausreisesperre sei nach Einspruch ihrer Anwälte aufgehoben worden, bestätigte Tolu am Morgen des 20.08.2018 via Twitter. "Ich bedanke mich bei meinem Unterstützerkreis und bei allen, die mit mir mitgefühlt und an meiner Seite sich für meine Freiheit eingesetzt haben", schrieb sie. Tolu veröffentlichte auf Twitter zudem eine Erklärung, die der Solidaritätskreis "Freiheit für Mesale Tolu" zuvor per E-Mail verbreitet hatte und schrieb: "Diese Entwicklung bedeutet aber nicht, dass alles vorbei ist: Der Prozess geht am 16.10.2018 weiter."

Tolus Ehemann muss weiterhin in Türkei verharren

Tolus Mann, Suat Corlu, der im selben Verfahren angeklagt ist, wird nach Angaben des Solidaritätskreises vorerst in der Türkei bleiben müssen. Seine Ausreisesperre bleibe bestehen, heißt es in der Erklärung. Der Sprecher des Solidaritätskreises, Baki Selcuk, sagte der Deutschen Presse-Agentur, Tolu habe ihm von der Entscheidung des Gerichts schon am 17.08.2018 erzählt. Cengiz Dogan, ebenfalls Mitglied des Unterstützerkreises, sagte der dpa: "Wir freuen uns, dass Mesale Tolu mit ihrem Sohn nach Deutschland kommt und ohne Furcht und Angst leben kann." Es sei allerdings "schade", dass Suat Corlu nicht ausreisen dürfe, dadurch werde die Familie getrennt. "Ich hoffe, dass auch das bald ein Ende hat."

Vorwurf: Mitgliedschaft in linksextremer MLKP

Die Entscheidung des Gerichts kommt inmitten eines Streits mit den USA wegen des in der Türkei festgehaltenen US-Pastors Andrew Brunson – und einer Serie von Annäherungsversuchen der Türkei an Europa und speziell Deutschland. Noch Ende April 2018 hatte das Istanbuler Gericht bei der Fortsetzung des Prozesses gegen Tolu entschieden, die Ausreisesperre aufrechtzuerhalten. Tolu wird Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP vorgeworfen, die in der Türkei als Terrororganisation eingestuft wird.

Türkei wirtschaftlich angeschlagen

Im Fall Brunson hatte US-Präsident Donald Trump Sanktionen und Strafzölle gegen die Türkei verhängt, um den Pastor freizubekommen. Ankara erwiderte die Sanktionen. Das befeuerte eine Währungskrise – die Lira brach auf historische Tiefstände ein. Die türkische Führung suchte die Annäherung an Deutschland: Am 15.08.2018 hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefoniert, sein Finanzminister Berat Albayrak sprach am 16.08.2018 mit seinem deutschen Kollegen Olaf Scholz. Ende September 2018 wird Erdogan zu einem Staatsbesuch in Deutschland erwartet.

Verfolgung deutscher Journalisten belastet Beziehungen

Der Fall Tolu hatte, zusammen mit dem des "Welt"-Reporters Deniz Yücel und des Menschenrechtlers Peter Steudtner, die Beziehungen der Türkei zu Deutschland schwer belastet. Tolu saß mehr als sieben Monate in Untersuchungshaft, zwischenzeitlich mit ihrem kleinen Sohn. Steudtner war rund drei Monate inhaftiert, Yücel ein Jahr. Nach ihrer Haftentlassung durften Steudtner und Yücel ausreisen, auch ihre Prozesse gehen in Abwesenheit weiter. Seit Dezember 2017 ist Tolu frei, durfte aber nicht ausreisen. Nach offiziellen Angaben sind in der Türkei noch sieben Deutsche aus "politischen Gründen" in Haft. Erst vergangene Woche war ein weiterer Deutscher wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda inhaftiert worden.

Tolu drohen 20 Jahre Haft

Tolu wird schon in Kürze in Deutschland erwartet. "Wir, der Solidaritätskreis `Freiheit für Mesale Tolu`, freuen uns, Mesale nach mehr als 17 Monaten, am 26.08.2018, wieder in Deutschland begrüßen zu dürfen", heißt es in der Mitteilung. Die Unterstützer verwiesen ebenfalls darauf, dass der Prozess gegen die Journalistin weitergeführt werde und ihr dabei bis zu 20 Jahre Haft drohten. Der Ulmer Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU) zeigte sich überzeugt, dass Tolu schnell nach Ulm zu Freunden und Familie zurückkehren werde: "Wir werden Kontakt aufnehmen und sie herzlich willkommen heißen."

EU-Haushaltskommissar begrüßt Freilassung Tolus

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hat die Aufhebung der Ausreisesperre begrüßt. "Jede Freilassung von Inhaftierten (in Ländern), bei denen der Rechtsstaat meines Erachtens nicht voll funktioniert, ist ein guter Schritt", sagte der CDU-Politiker am 20.08.2018 vor Sitzungen der Führungsgremien seiner Partei in Berlin.

Keine deutschen Finanzhilfen für Türkei

Zugleich äußerte Oettinger sich ablehnend zu deutschen Finanzhilfen für die angeschlagene Türkei. Es sei nicht Aufgabe Deutschlands, der Türkei unter die Arme zu greifen, sagte Oettinger. "Das ist die Aufgabe – wenn – des Währungsfonds, des IWF, der ist dafür da. Und ich glaube, zu allererst ist Handlungsbedarf in Ankara. Nicht in Berlin und nicht in Brüssel."

Oettinger warnt vor Isolierung der Türkei

Zugleich warnte der Haushaltskommissar davor, Ankara zu isolieren. Die Türkei sei ein Nachbar Europas, in vielen Fragen auch ein Partner. "Und bei einigen Themen auch ein Nachbar, der uns Sorgen bereitet." Das Land sei aber unverändert Nato-Mitglied und Kandidat, in einer fernen Zukunft Mitglied der EU zu werden. "Deswegen halte ich von Isolierungen relativ wenig", sagte Oettinger.

Zwei griechische Soldaten und ai-Ehrenvorsitzender aus Haft entlassen

Die Türkei hatte vergangene Woche auch zwei griechische Soldaten aus der Haft entlassen – ihre Festnahme hatte die Beziehungen zum Nachbarland Griechenland schwer belastet. Zudem kam überraschend Taner Kilic, Ehrenvorsitzender der in London ansässigen Menschenrechtsorganisation Amnesty International, aus der Untersuchungshaft frei. Kilic war vor mehr als einem Jahr ebenfalls wegen Terrorvorwürfen inhaftiert worden. Beide Fälle schienen zuvor festgefahren. Die Türkei betont immer wieder die Unabhängigkeit der türkischen Justiz – Beobachter werten die Verfahren jedoch als politisch motiviert.

Redaktion beck-aktuell, 20. August 2018 (dpa).