BGH: Substanziierung von Sachvortrag (hier: behauptete Geschäftsunfähigkeit)

GG Art. 103 I; ZPO § 544 VII; BGB § 104 Nr. 2

1. Zur ausreichenden Substanziierung einer behaupteten Geschäftsunfähigkeit. (Leitsatz des Gerichts)

2. Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (st. Rspr.). (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschluss vom 14.03.2017 - VI ZR 225/16, BeckRS 2017, 109294

Anmerkung von 
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe 

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 11/2017 vom 09.06.2017

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Sachverhalt

Der Kläger begehrt vom Beklagten, seinem früheren Vermieter die Rückzahlung von Geldbeträgen, die von seinen Bankkonten auf Konten des Beklagten sowie dessen verstorbenen Vaters überwiesen worden sind; die in den Jahren 2005 und 2006 getätigten Überweisungen seien ihm erst im Jahr 2010 bekannt geworden, nachdem sein Prozessbevollmächtigter die ihm von dem Kläger in einer Tüte übergebenen, teilweise noch ungeöffneten Schreiben mit Kontoauszügen geöffnet und durchgesehen habe. Der Kläger hat hierzu vorgetragen und durch Sachverständigengutachten unter Beweis gestellt, er sei zur eigenständigen Regelung seiner Angelegenheiten bereits seit dem Jahre 1995 nicht imstande gewesen und habe diese auch nicht wahrgenommen. Er sei damals wie heute aufgrund einer seelischen Erkrankung nicht in der Lage, sich aktiv an Auseinandersetzungen zu beteiligen oder auf geschäftliche Dinge zu reagieren. Ein Sachverständigengutachter werde feststellen, dass seine Erkrankung seit vielen Jahren bestehe. Er hat ein Schreiben eines Bevollmächtigten seiner Geschwister aus dem Jahre 1995 an die Vormundschaftsabteilung des AG vorgelegt, mit dem vor dem Hintergrund einer anstehenden Erbauseinandersetzung angeregt wird, dem Kläger einen Betreuer zu bestellen, weil die Befürchtung bestehe, dass der Kläger sich wegen seiner seelischen Erkrankung nicht selbst werde helfen können. Er hat ferner ein Schreiben eines kommunalen Gesundheitsamtes aus dem Jahre 2011 vorgelegt, in dem ausgeführt wird, dass der Kläger aufgrund seiner psychischen Erkrankungen nicht in der Lage sei, seine sozialen Belange eigenverantwortlich zu regeln. Der Kläger hat ferner vorgetragen, er sei hilflos und gar nicht in der Lage, soziale Kontakte zu Dritten aufzubauen oder seine Interessen in irgendeiner Weise selbst wahrzunehmen. Der Beklagte habe die krankhafte Störung und die dadurch verursachte Hilflosigkeit des Klägers ausgenutzt, ihn als Vermieter mit dem Verlust der Wohnung unter Druck gesetzt und auf diese Weise dazu gebracht, Überweisungsträger, soweit diese nicht ohnehin gefälscht gewesen seien, zu unterschreiben.

Das AG hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe erst im Jahr 2011 Kenntnis von den behaupteten Fälschungen erlangt. Denn es habe zumindest eine grob fahrlässige Unkenntnis vorgelegen. Das Unterlassen der Prüfung der präsenten Kontoauszüge erscheine geradezu unverständlich. Der Kläger könne auch nicht damit gehört werden, er sei aufgrund seiner Hilflosigkeit zur Prüfung der Kontoauszüge nicht imstande gewesen. Denn insoweit bleibe der Vortrag unsubstanziiert, weshalb auch das Beweisangebot auf Einholung eines Sachverständigengutachtens auf eine unzulässige Ausforschung hinauslaufe. Die Berufung des Klägers blieb ebenfalls erfolglos. Auch das Berufungsgericht (LG Frankfurt a.M. BeckRS 2016, 119901) hat angenommen, der Vortrag des Klägers sei unsubstanziiert und das Beweisangebot sei auf eine unzulässige Ausforschung gerichtet. Der Vortrag des Klägers sei vage und lasse keine Rückschlüsse darauf zu, aufgrund welcher konkreten Umstände es dem Kläger im Zeitraum von 2005 bis zum Ende des Jahres 2010 durchgängig nicht möglich gewesen sei, die übersandten Kontoauszüge zu prüfen. Das vom Kläger beantragte Sachverständigengutachten diene daher lediglich dazu, Hinweise auf den konkreten Zustand des Klägers im maßgeblichen Zeitraum zu erlangen.

Entscheidung

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der BGH, wie von § 544 VII ZPO ermöglicht, sogleich das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör jedenfalls dadurch in entscheidungserheblicher Weise verletzt, dass es die Einholung des angebotenen Sachverständigengutachtens zu dem Gesundheitszustand des Klägers unterlassen habe. Der Kläger habe hinreichend substanziiert die Voraussetzungen einer Geschäftsunfähigkeit (§ 104 Nr. 2 BGB) dargelegt und unter Beweis gestellt. Das Berufungsgericht habe den durch das Schreiben des Gesundheitsamts unterlegten konkreten Vortrag des Klägers zu dem Inhalt und der Dauer seiner Erkrankung unberücksichtigt gelassen und die Substanziierungsanforderungen (vgl. LS 2) in unvertretbarer Weise überspannt. Ob der Kläger an einer – möglicherweise dauerhaft bestehenden – Erkrankung leide und ob diese dazu führe, dass er nicht in der Lage sei, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der Geistesstörung zu bilden und nach den gewonnenen Einsichten zu handeln, habe das Berufungsgericht durch Einholung des angebotenen Sachverständigengutachtens klären müssen. Die Gehörsverletzung sei auch entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht habe nicht aus anderen Gründen von der Einholung eines Gutachtens absehen dürfen. Das gelte schon deshalb, weil es von Amts wegen verpflichtet sei, sich von der Prozessfähigkeit des Klägers zu überzeugen, § 51 I ZPO. Eine etwaige Prozessunfähigkeit führe zwar weder zur Unzulässigkeit der Berufung noch zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde, erfordere aber eine Übernahme der Prozessführung durch einen gegebenenfalls zu bestellenden gesetzlichen Vertreter. Eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers sei zudem geeignet, dem von dem Beklagten behaupteten Schenkungsvertrag die Grundlage zu entziehen.

Praxishinweis

Es entspricht verbreiteter Praxis vor den Instanzgerichten, Sachvortrag als unsubstanziiert anzusehen und hierzu angebotene Beweise nicht zu erheben, weil er sich auf eine (rechtserhebliche) Behauptung beschränkt, ohne weitere Einzelheiten (z.B. zu den näheren Umständen einer behaupteten Erklärung) auszuführen. Dies widerspricht indessen eklatant der ständigen, oben in LS 2 wiedergegebenen Rechtsprechung des BGH und wird in der Revisionsinstanz, soweit die darin liegende Gehörsverletzung entscheidungskausal ist, unweigerlich zur Aufhebung führen.

Redaktion beck-aktuell, 16. Juni 2017.