AG Bielefeld: Keine Befangenheit der Richterin bei Beaufsichtigung des eigenen Kindes im Richterzimmer

StPO § 24; StGB §263

Der Umstand, dass eine Strafrichterin Termine an einem Samstag ablehnt begründet ebenso wie die Beaufsichtigung ihres 9-jährigen Sohnes im Beratungszimmer des Gerichtssaals durch die offene Türe des Beratungszimmers noch nicht die Besorgnis der Befangenheit. (Leitsatz des Gerichts)

AG Bielefeld, Beschluss vom 05.12.2017 - 39 Ds-6 Js 42/17-824/17, BeckRS 2017, 134347

Anmerkung von
Rechtsanwältin Simone Weber, Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 25/2017 vom 21.12.2017

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Sachverhalt

Dem Angeklagten (A) wird Betrug in 3 Fällen zur Last gelegt. Das Verfahren wurde vor dem AG - Strafrichter eröffnet. Die Richterin (R) beraumte Termin an und lud die Zeugen. Wegen Verhinderung des Staatsanwalts wurde der Termin verlegt. Mit Schriftsatz beantragte sodann der Verteidiger (V) eine Terminsverlegung und bat um vorherige Terminsabsprache. R schlug daraufhin vier alternative Termine im August und September vor und beraumte Termin an. Zu diesem Termin zeigte nun ein Zeuge seine Verhinderung an. V kündigte an, einen unaufschiebbaren Antrag zur Akte zu stellen. Das Verfahren wurde ausgesetzt und R unterbreitete 10 neue Terminsvorschläge. V zeigte Verhinderung an allen vorgeschlagenen Tagen an. Daraufhin bat R darum, Terminstage in den Monaten November 2017 bis Januar 2018 zu benennen, die bei V verfügbar seien. V benannte zwei Termine. Daraufhin bat R um Benennung weiterer Termine innerhalb von 3 Wochen nach diesen. V zeigte erneut Verhinderung an, sodass R daraufhin Termine ansetzte. Zugleich teilte sie mit, dass mangels hinreichender Verfügbarkeit auf die Termine des V keine Rücksicht genommen werden konnte. V erhob dagegen Einwendungen, dem A werde durch dieses Vorgehen eine Verteidigung quasi unmöglich gemacht. Er benannte Alternativtermine an Samstagen. Es verblieb allerdings bei den genannten Terminen. Darauf teilte der weitere Anwalt des A (V2) mit, dass er nur als weiterer Verteidiger mandatiert sei und deshalb nicht allein im Strafverfahren auftreten wolle. R teilte dies A mit und kündigte die Bestellung eines Pflichtverteidigers an. Mit Brief beendete A das Mandat zu V2 und V lehnte die R mit Schreiben als befangen ab. Während eines Termins habe sich ein Schulkind – der 9-jährige Sohn der R – zur Beaufsichtigung durch R im Beratungszimmer bei geöffneter Tür befunden. Zudem werde die Verteidigung durch die Terminsverfügungen ausgeschlossen. R wurde das Ablehnungsgesuch allerdings nicht vorgelegt, sodass sie den Termin in Unkenntnis der Ablehnung abhielt. Es erschien A, jedoch ohne Verteidiger. A beantragte weitere Zeit, um sich noch einen Wahlverteidiger suchen zu können. Die Richterin beendete den Termin um ihm dies zu ermöglichen. Darauf nahm sie von dem Ablehnungsgesuch Kenntnis und gab eine dienstliche Stellungnahme ab.

Rechtliche Wertung

Der Befangenheitsantrag sei zurückzuweisen. Nach § 24 StPO könne ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliege, der geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Nach einhelliger Auffassung brauche der Richter nicht objektiv befangen zu sein; es genügen Gründe, die vom Standpunkt eines vernünftigen Ablehnenden aus einen solchen Schluss nahe legen. Solche Gründe liegen hier nicht vor. Zunächst könne aus der Terminierungsweise der R nicht auf ihre Befangenheit geschlossen werden. Dabei sei im Ausgang zu berücksichtigen, dass das Verfahren im Frühjahr nächsten Jahres verjähre, so nun das Verfahren eine zeitliche Beschleunigung erfahren müsse. Dass es trotz einer Anklage 2015 zu dieser Situation gekommen ist, sei nicht der R anzulasten. Denn das Verfahren wurde erst 2017 an das AG abgegeben. Auch habe sie sich seither konsequent darum bemüht, das Verfahren zu fördern, Liegezeiten der Akte seien nicht zu erkennen. R könne auch nicht vorgehalten werden, nur unzureichend auf die Terminslage des V eingegangen zu sein. Dass ein Termin wegen Abwesenheit des Zeugen scheiterte, sei ihr nicht anzulasten. Anschließend verfügte V in der Zeit von November 2017 bis Januar 2018 offensichtlich lediglich über 2 freie Verhandlungslage. In Anbetracht der Sachlage ging R in nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass es eines weiteren Fortsetzungstermins bedürfe und bat um Benennung weiterer Termine. Diese benannte V aber nur an Samstagen. Dass R hierauf nicht einging, sei ihr nicht anzulasten. Denn der Samstag ist kein regelmäßiger Sitzungstag. Unter Berücksichtigung des organisatorischen Folgeaufwandes wie zB Sicherstellung der Beheizung im Gebäude der Eingangssicherung, der möglichen Sicherung des Sitzungssaales und des Protokolldienstes bestehe in der Sache kein Anspruch darauf, dass auch ein Samstag als Terminstag gewählt werde. Deshalb sei es folgerichtig, dass R Termine ohne weitere Absprache anberaumt habe, zumal A zu dem Zeitpunkt auch noch durch Rechtsanwalt V2 verteidigt gewesen sei. Als dieser die Mandatskündigung mitteilte, habe R einen Pflichtverteidiger bestellen wollen. Selbst auf den geäußerten Wunsch des A, doch einen anderen Wahlverteidiger zu bestellen, sei sie eingegangen. Bei dieser Sachlage könne nicht die Rede davon sein, dass R die Rechte des A verkürzt und die Verteidigung behindert habe. Auch der Umstand, dass sich während des Termins ein Schulkind im Beratungszimmer aufgehalten habe und R die Tür zum Sitzungssaal geöffnet gehalten habe, führe nicht zu ihrer Befangenheit. Allerdings treffe es zu, dass dann, wenn R der Sitzung nicht die volle Aufmerksamkeit widme, sondern sich parallel privaten Aufgaben zuwendet habe, eine Befangenheit angenommen werden könne. Wenn ein 9-jähriges Kind allein im Beratungszimmer spiele, weil an dem Tag die Kinderbetreuung nicht gewährleistet werden könne, lenke das als solches die Aufmerksamkeit der R nicht ab. Dies wäre erst dann der Fall, wenn konkreter Betreuungsbedarf bestehe, welcher nicht eingetreten sei. Nicht vergleichbar sei dies mit dem vom BGH entschiedenen Fall der Handynutzung. Denn die Richterin habe in diesem Fall das Handy während der laufenden Sitzung genutzt, während der hier vorliegende Fall eher damit zu vergleichen sei, dass das Handy auf Rufbereitschaft gestellt und gelegentlich aufs Handy geschaut werde. Die bloße beiläufige Überwachung des Sitzungszimmers führe aber nicht zu einer Reduzierung der Aufmerksamkeit in der Hauptverhandlung.

Praxishinweis

In der vorliegenden Entscheidung stützt die Verteidigung ihre Annahme der Befangenheit auf zwei Punkte, zum einen auf die Terminierung der Verhandlungstage, zum anderen auf die Beaufsichtigung des Sohnes. Die Besorgnis der Befangenheit besteht nach ständiger Rechtsprechung, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (BVerfG NJW 1995, 1277); zur Beurteilung ist ein „individuell-objektiver Maßstab“ anzulegen. Regelmäßig kann die Terminierung durch den Vorsitzenden jedenfalls kein Grund zur Befangenheit sein, wenn, wie auch hier, in gebotenem Umfang auf die Belange der Verteidigung Rücksicht genommen, und ermessensfehlerfrei der Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes Vorrang vor der Verteidigung einräumt wurde (so auch BGH NStZ 2007, 163 [164]). Problematischer scheint daher die Beaufsichtigung des Sohnes im Richterzimmer während der laufenden Verhandlung. Die Befangenheit könnte sich daraus ergeben, dass durch die Anwesenheit des Sohnes der Eindruck der Verfahrensbeteiligten entstehe, die Richterin sei aufgrund eingeschränkten Interesses an der dem Kernbereich ihrer richterlicher Tätigkeit (vgl. § 261 StPO) unterfallenden Beweisaufnahme auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt. Das Gericht verneint dies unter Bezugnahme des Falls der Handynutzung einer Beisitzerin (BGH NJW 2015, 2986 mAnm Lilie-Hutz FD-StrafR 2015, 372430). Diese scheinbare Parallele kann aber so nicht gezogen werden. Hatte der BGH doch die Befangenheit der Richterin in diesem Fall nicht nur mit der tatsächlichen Ablenkung der Richterin begründet, sondern im Wesentlichen darauf abgestellt, dass diese mit der vorgefertigten SMS die Bereitschaft gezeigt habe, in laufender Hauptverhandlung Telekommunikation im privaten Bereich zu betreiben und dieses über die ihr obliegenden dienstlichen Pflichten zu stellen. Gleiches wird man hier wohl auch für die Richterin behaupten können, die ihr Kind zur Verhandlung mitbringt. Unabhängig davon, dass sie durch die Anwesenheit des Kindes wohl unterbewusst abgelenkt war, erweckte sie objektiv den Eindruck, es von vornherein darauf angelegt zu haben, aktiv in der Hauptverhandlung in privaten Angelegenheiten tätig zu werden. Allein dies sollte für die Besorgnis der Befangenheit genügen.

Redaktion beck-aktuell, 3. Januar 2018.