AG Bocholt: Hohe Anforderungen an die Strafbarkeit wegen Besitzes jugend- oder kinderpornographischer Schriften

StGB §§ 184b, 184c; BGB § 854 I

1. Eine Bestrafung wegen des Besitzes jugendpornographischer Bilder kommt nur in Betracht, wenn entweder das jugendliche Alter der Person bekannt ist oder diese ganz offensichtlich nicht volljährig sind. Im letztgenannten Fall müssen sie so kindlich wirkenden dass sie fast schon in die Nähe des Besitzes kinderpornographischer Schriften fallen.

2. Sind auf einem Computer kinderpornographische Bilder nur im so genannten Cache gespeichert, so ist bereits der Besitz zweifelhaft. Zumindest beim durchschnittlichen Nutzer kann nicht davon ausgegangen werden, dass ihm die Existenz der Datenspeicherung im Cache geläufig war und er wusste, wie diese Daten gelöscht werden können, so dass der Vorsatz entfällt. (Leitsätze des Gerichts)

AG Bocholt, Beschluss vom 23.03.2017 - 3 Ds 540 Js 100/16 - 581/16, BeckRS 2017, 108815

Anmerkung von 
Rechtsanwalt David Püschel, Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 10/2017 vom 25.05.2017

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Sachverhalt

Die StA hat dem Angeschuldigten (A) die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften zur Last gelegt und die Eröffnung des Hauptverfahrens beantragt. Das AG hat den Antrag aus tatsächlichen Gründen zurückgewiesen.

Rechtliche Wertung

Soweit A vorgeworfen werde, er habe zahlreiche Bilder eines etwa 16-jährigen Mädchens auf seinem Computer gespeichert, bestehe ein hinreichender Tatverdacht schon allein deshalb nicht, weil nicht erkennbar sei, dass auf den Bildern tatsächlich eine Jugendliche zu sehen sei. Allein vom visuellen Eindruck her sei eine Unterscheidung zwischen einer 16-jährigen Jugendlichen und einer 18-jährigen Frau nicht möglich. Das Bundesverfassungsgericht habe hierzu ausgeführt, dass weder anhand der körperlichen Merkmale noch durch eine Analyse von Gesichtszügen die Unterscheidung zwischen einer 16 bis 17-jährigen oder einer 18-jährigen Person mit hinreichender Zuverlässigkeit getroffen werden könne. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass allein vom optischen Eindruck her eine Unterscheidungsmöglichkeit nicht bestehe. Eine Strafbarkeit sei deshalb nur dann gegeben, wenn die dargestellten Personen ganz offensichtlich nicht volljährig seien, etwa dann, wenn sie fast noch kindlich wirken würden und somit in die Nähe des Straftatbestandes aus § 184b StGB (Kinderpornographie) fielen. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien könne die auf den Fotos zu sehende junge Frau jedenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit als Jugendliche erkannt werden, sodass insoweit der Antrag zurückzuweisen sei. Auch hinsichtlich des Besitzes von kinderpornographischen Schriften sei der Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen abzuweisen. Unter dem Begriff Besitz iSd StGB sei im Zusammenhang mit Fotos zu verstehen, dass der Täter jederzeit ähnlich wie ein Besitzer von körperlichen Gegenständen Einwirkungsmöglichkeit auf die Bilder haben müsse. Hieran seien Zweifel angebracht, da sich die inkriminierenden Fotos auf einem Bereich der Festplatte, dem Cache, befunden hätten, auf den jedenfalls der normale Nutzer keine Zugriffsmöglichkeiten habe. Sie hätten sich damit in einem Bereich befunden, in dem der Nutzer nicht bewusst Daten speichern könne, sondern in dem das Betriebssystem Windows automatisch, ohne Einwirkungsmöglichkeit des normalen Nutzers Daten speichere. Wie der Name Cache schon sage, bedeute dies nicht, dass der Nutzer auf diese Daten unmittelbaren Zugriff habe, sondern Cache bedeute so viel wie „verstecken“. Er werde verwendet, da die im Cache gespeicherten Daten selbst vor dem Nutzer versteckt würden. Entsprechend habe der Nutzer auf die im Cache gespeicherten Daten zunächst einmal keinen Zugriff, denn in der normalen Verzeichnisstruktur sei der entsprechende Pfad nicht sichtbar. Diese Daten würden nur angezeigt, wenn die Funktion „geschützte Systemdateien ausblenden“ deaktiviert und dafür die Funktion „versteckte Dateien und Ordner anzeigen“ aktiviert werde. Vor diesem Hintergrund sei der Besitz zweifelhaft. Selbst wenn man dies vorliegend anders werten würde, reiche allein der Umstand, dass in einem automatischen Verfahren kinderpornographische Inhalte auf der Festplatte gespeichert worden seien zum Nachweis des Besitzwillens nicht aus. § 184b sei kein Unternehmensdelikt, denn § 184b I StGB in Verbindung mit § 11 III StGB setze ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis über die Bilder voraus mit der Möglichkeit, die Bilder sich und anderen zugänglich zu machen. Dies müsse vorsätzlich geschehen, wobei der Vorsatz als direkter oder bedingter Vorsatz gegeben sein müsse. Habe der Nutzer nicht gewusst, dass die Bilder im Cache gespeichert worden seien, so setze die Strafbarkeit erst ein, sobald er erkannt oder billigend in Kauf genommen habe, dass er Kinderpornographie besitze und den Besitz gleichwohl fortsetze. Anders als noch vor 10 Jahre könne der Nutzer heute nicht mehr bereits im praktischen Betrieb etwa anhand der Nichtbelastung des mit dem Provider vereinbarten Datenvolumens oder am schnelleren Seitenaufbau erkennen, dass Bilder im Cache gespeichert worden seien. Auf das Datenvolumen brauche der Nutzer heutzutage bei einer Flatrate nicht zu achten und die Geschwindigkeit des Seitenaufbaus sei beim Hightspeedinternet ebenso schnell wie beim Herunterladen von der Festplatte. Gegenteilige insbesondere ältere Entscheidungen, die von einer Kenntnis des Nutzers von der Datenspeicherung im Cache ausgehen würden, seien aufgrund der technischen Entwicklung überholt. Der durchschnittliche Nutzer wisse im Zweifel daher nicht mehr, dass schon beim Betrachten von Bildern Daten im sogenannten Cache gespeichert würden. Dass A, der von sich unwiderlegbar behauptet habe, von den Bildern keine Kenntnis gehabt zu haben, solche überdurchschnittlichen Kenntnisse im PC Bereich gehabt habe, sei nicht feststellbar. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hinzuweisen, dass nicht einmal feststehe, dass A bewusst die inkriminierenden Bilder betrachtet habe. Dies ergebe sich aus folgendem Szenario: Speichere etwa ein x-beliebiger Straftäter Bilder kinderpornographischen Inhalts im Internet, bei einem Clouddienst, so habe er die Möglichkeit, einen Link zu generieren und diesen zu verschicken. Öffne ein Ahnungsloser dann diesen Link, so habe er die Bilder auf seinem Rechner und damit auch im Cache, ohne dass er überhaupt die Absicht gehabt habe, derartige Bilder zu betrachten. Es sei hierdurch möglich, jede x-beliebige Person zum Besitzer von kinderpornographischen Bildern zu machen.

Praxishinweis

In Abweichung von der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung zweifelt das AG an, ob die Existenz einer Datei in einem automatischen Zwischenspeicher („Cache“), aus dem sie nicht ohne weiteres abgerufen werden kann, zum Besitz der Datei führt. Das AG setzt sich jedoch nicht abschließend mit dieser Frage auseinander, sondern zieht sich zu Verneinung des hinreichenden Tatverdachts auf die – auch von der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte – Wertung zurück, dass die Existenz einer Datei in einem automatischen Speicher nicht ohne Weiteres auf Tatvorsatz schließen lässt. Das AG liefert unter Berücksichtigung des technischen Fortschritts tragfähige Argumente dafür, dass der durchschnittliche PC-Nutzer regelmäßig keinen Besitzwillen hinsichtlich im Cache gespeicherter Dateien hat. Im Hinblick auf jugendpornographische Inhalte setzt das AG die gefestigte Rechtsprechung um, dass bei einer Altersfeststellung allein anhand körperlicher Merkmale in dubio pro reo von Volljährigkeit auszugehen ist. Die plausible Darlegung fehlenden Besitzwillens und ein Einschreiten gegen vorschnelle Einschätzungen von Staatsanwaltschaft und Gericht zum jugendlichen Alter können mithin aus Verteidigersicht verfahrensentscheidend sein.

Redaktion beck-aktuell, 30. Mai 2017.