OLG Frankfurt a. M.: Vermögensabschöpfung bei "Scalping" betrifft sämtliche Erlöse

BGB § 817 S. 2; MaKonV § 4 III Nr. 2; StGB §§ 73 I 1, III, 73a, 73c; StPO §§ 111b II, V, 111d, 111e I; WpHG §§ 20a I 1 Nr. 3, 38 II Nr. 1, 39 I Nr. 2

Das Erlangte iSd § 73 I 1 StGB umfasst bei Marktmanipulationen in Form des „Scalping“ nicht nur den Sondervorteil, sondern sämtliche Erlöse aus den Aktienverkäufen. (Leitsatz des Verfassers)

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 12.01.2017 - 3 Ws 901/162016, BeckRS 2017, 107386

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Christian Rathgeber, Mag. rer. publ., Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 09/2017 vom 11.05.2017

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Sachverhalt

Die StA führt gegen den Angeschuldigten (A) ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat nach dem WpHG. Gegenstand dieses Verfahrens ist der Vorwurf, dass A und ua die gesondert verfolgten C und D aufgrund einer gemeinsamen Absprache in der Zeit vom 10.-14.3.2011 gegen ein Entgelt iHv 30 % der Verkaufserlöse der A GmbH, die durch A vertreten wird, über zwei zu diesem Zweck geschaffene Börsendienst-Labels („E“ und „F“) börsennotierte Aktien der G SE gegenüber einer Vielzahl von Anlegern zum Kauf angepriesen haben, ohne dabei zu offenbaren, dass diese Empfehlung den finanziellen Interessen der Beteiligten an der Erzielung möglichst hoher Verkaufserlöse dienten (Scalping). Die wegen der Kaufempfehlung rapide ansteigende Nachfrage, die sich im höheren Kurs der Aktie als auch in höheren Umsätzen niederschlug, nutze A tatplanmäßig aus, um als Geschäftsführer der G Aktien im Wert von mehr als 7,8 Mio. EUR zu veräußern. Die StA hat mit Verfügung vom 22.9.2016 Anklage erhoben und mit der Anklageschrift vom 21.9.2016 ua den Antrag gestellt, zur Sicherung der den Verletzten aus den Straftaten erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüche den dinglichen Arrest in das Vermögen der A GmbH iHv 7.843.648,91 EUR anzuordnen. Das LG ordnete am 31.10.2016 zur Sicherung des Verfallsanspruches für das Land Hessen den dinglichen Arrest in das Vermögen der A GmbH iHv 2.903.443,09 EUR an. Die Abweichung von der beantragten Arresthöhe begründete die Kammer damit, dass bei Marktmanipulationen in Form des sog. „Scalpings“ nur der Sondervorteil aus der Straftat erlangt sei. Dementsprechend hat die Kammer den Antrag der StA im Übrigen zurückgewiesen. Gegen den Beschluss legte die StA am 2.11.2016 Beschwerde ein. Nach ihrer Auffassung umfasse das Erlangte iSd § 73 StGB bei Marktmanipulationen in Form des Scalping nicht nur den Sondervorteil, sondern sämtliche Erlöse aus den Aktienverkäufen. Das LG half der Beschwerde nicht ab.

Rechtliche Wertung

Das OLG hält die Beschwerde der StA für zulässig und begründet. Wie das LG im Einzelnen und mit zutreffender Begründung ausgeführt habe, sei A der ihm in der Anklageschrift vorgeworfenen Tat dringend verdächtig. Dem Verfall unterlägen – entgegen der Auffassung der Kammer – die Erlöse in voller Höhe. Nach § 73 I 1 StGB sei für verfallen zu erklären, was der Täter für die Tat oder aus der Tat erlangt habe. Die Frage, was unter dem Begriff „Erlangtes“ iSd § 73 I StGB zu verstehen ist, sei in der BGH-Rechtsprechung uneinheitlich und in Fällen des sog. „Scalpings“ im Detail ungeklärt. Der Senat folge der Rechtsprechung des 1. Strafsenates des BGH, wonach der Umfang des Erlangten grundsätzlich nach den Maßstäben des Bruttoprinzips zu bemessen sei. Hiernach seien Vermögenswerte, die der Täter oder Teilnehmer in irgendeiner Phase des Tatablaufs unmittelbar erlangt habe, in ihrer Gesamtheit abzuschöpfen, ohne dass Gegenleistungen, Aufwendungen uä in Abzug gebracht würden. Das gelte nach den Grundsätzen des 1. Strafsenats des BGH auch für den Drittbegünstigten iSd § 73 III StGB. Allein diese Auffassung entspreche den Motiven des Gesetzgebers, der bei der Umstellung auf das Bruttoprinzip durch das Gesetz zur Änderung des AWG sowie ua des StGB auf den Rechtsgedanken des § 817 S. 2 BGB abgestellt habe. Zudem sei das Bruttoprinzip auch im Hinblick auf den Präventionszweck der Verfallsvorschriften sachgerecht. Müsste der Täter nur die Abschöpfung des Nettogewinns oder des Sondervorteils befürchten, so würde sich die Tatbegehung für ihn unter finanziellen Gesichtspunkten als weitgehend risikolos erweisen. Den Drittbegünstigten solle das Bruttoprinzip veranlassen, zur Verhinderung solcher Taten wirksame Kontrollmechanismen einzurichten. Es seien keine Gründe erkennbar, bei den sog. „Scalping“-Fällen vom Bruttoprinzip abzuweichen und den Begriff des „Erlangten“ iSd § 73 I StGB – wie die Kammer in Anlehnung an die Rechtsprechung des 3. Strafsenates des BGH – eingeschränkt auszulegen. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit könne durch Anwendung des § 73c StGB Rechnung getragen werden. Für den vorliegenden Fall bedeute dies, dass der Verfall bezüglich der durch den Verstoß gegen das WpHG auf dem Konto der A GmbH eingegangenen Erlöse iHv 7.843.648,91 EUR nach § 73 III StGB iVm § 73a StGB anzuordnen sei. Die A GmbH müsse sich das Handeln des A als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person gemäß § 14 I Nr. 1 StGB zurechnen lassen, da es sich vorliegend um einen sogenannten Verschiebungsfall handele.

Praxishinweis

Ein Grund für die Komplexität der strafrechtlichen bzw. strafprozessualen Vermögensabschöpfung liegt u.a. in der Bestimmung des i.S.v. § 73 I 1 StGB „Erlangten“ nach dem derzeit gültigen Bruttoprinzip (vgl. nur Joecks in MüKoStGB § 73 Rn. 8 ff.). Aufgrund von Anwendungsschwierigkeiten und angenommenen Wertungswidersprüchen hat der Gesetzgeber die zentralen Vorschriften der §§ 73 ff. StGB mit Wirkung vom 1.7.2017 reformiert. In der Vergangenheit hatte etwa der 5. Strafsenat entschieden, dass bei verbotenen Insidergeschäften nur der hierdurch erzielte Sondervorteil das Erlangte iSd § 73 I 1 StGB darstellt. Dies wurde damit begründet, dass nicht das Wertpapiergeschäft an sich (anders als zB Rauschgiftgeschäfte) verboten sei, sondern nur die Art und Weise der Ausführung (BGH BeckRS 2010, 04082). Betrachtet man „Scalping“ als insgesamt verbotene Kurs- und Marktpreismanipulation (BGH BeckRS 2003, 10413), ist es nachvollziehbar, wenn das OLG Frankfurt a. M. vorliegend sämtliche Erlöse aus den Aktienverkäufen als „erlangt“ ansieht.

Redaktion beck-aktuell, 15. Mai 2017.