OLG Hamm: Öffnen der Beifahrertür kann gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr sein

StGB §§ 224 I, 315b I; StPO § 473 I

Täter eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr kann im Fall des sogenannten verkehrsfremden Inneneingriffs auch der Beifahrer sein, wenn er durch diese Handlung ein Hindernis bereiten will und mit Schädigungsabsicht handelt. (Leitsatz der Verfasserin)

OLG Hamm, Beschluss vom 31.01.2017 - 4 RVs 159/16, BeckRS 2017, 102989

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Dr. Astrid Lilie-Hutz, Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 07/2017 vom 13.04.2017

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Sachverhalt

Der Zeuge (Z) hat mit seinem Fahrrad an einer Kreuzung innerhalb eines verkehrsberuhigten Bereichs einen dort gerade wieder anfahrenden Pkw, welcher von dem Mitangeklagten (Y) gesteuert worden ist und in welchem sich der Angeklagte (A) als Beifahrer befunden hat, mit hoher Geschwindigkeit rechts überholt und ist sodann knapp vor dem Auto rechts eingebogen. Y, der ebenfalls rechts abbiegen wollte, musste wieder bremsen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Y hat den Pkw stark beschleunigt, gehupt, Z überholt und schräg nach rechts gelenkt, um diesem den Weg abzuschneiden und Z zur Rede zu stellen. Gleichzeitig hat A, ein Stück weit die Beifahrertür geöffnet, wodurch Z´s Fahrweg versperrt und er zu einer Notbremsung sowie einem Ausweichmanöver gezwungen wurde. Dabei ist er gegen die Rückseite eines geparkten Pkw geprallt und vom Fahrrad gestürzt. Nachdem A und Y kurz angehalten und den Sturz von Z registriert haben, sind beide unter starker Beschleunigung davongefahren. Infolge des Unfalls hat sich Z Prellungen an der Schulter sowie Schürfwunden zugezogen und ist insgesamt über einen Monat arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Am Fahrrad ist ein Sachschaden iHv. 261,24 EUR und an dem geparkten Pkw ein Schaden iHv 330 EUR entstanden. Das LG ist davon ausgegangen, dass A auch mit Verletzungsabsicht gehandelt hat. A und Y hätten mit dem Ziel gehandelt, den Radfahrer gemeinschaftlich „vom Rad zu holen" und ihn zur Rede zu stellen, wobei sie auch einen Sturz und die Gefahr von erheblichen Verletzungen jedenfalls billigend in Kauf genommen hätten. Dies gehe insbesondere auch aus der in der mündlichen Verhandlung wiederholten Äußerung des A hervor, dass, wenn Z nicht gestürzt wäre, er ihn totgeschlagen hätte. Das AG hat A und Y wegen gemeinschaftlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung von A hatte keinen Erfolg. Das LG hat A wegen gemeinschaftlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Gegen das Berufungsurteil hat A Revision eingelegt.

Rechtliche Wertung

Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg. Es habe lediglich einer Berichtigung der Urteilsformel und einer Abänderung der Liste der angewendeten Vorschriften bedurft. Die vom LG getroffenen Feststellungen seien rechtsfehlerfrei und trügen eine Verurteilung des A wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß §§ 315b I Nr.2, 25 II StGB. Unschädlich sei, dass er das Fahrzeug nicht selbst gelenkt habe, da § 315b I StGB kein eigenhändiges Delikt sei. Der Täter müsse lediglich das Geschehen beherrschen. Dies gelte auch im Fall des hier vorliegenden sog. verkehrsfremden Inneneingriffs. Anknüpfungspunkt sei insoweit gerade nicht das Führen des Fahrzeugs, sondern dass das Fahrzeug anstatt zur Fortbewegung zur Verletzung oder Nötigung eingesetzt werde. A habe die Beifahrertür bewusst geöffnet, um Z abzudrängen und anzuhalten sowie damit das Fahrzeug im vorbeschriebenen Sinne zweckentfremdet. A habe bereits vorsätzlich ein Hindernis bereitet, indem Y das Fahrzeug schräg nach rechts gelenkt habe, während A die Beifahrertür geöffnet habe. Im fließenden Verkehr stelle ein Verkehrsvorgang nur dann einen Eingriff in den Straßenverkehr iSv § 315b I Nr.2 StGB dar, wenn zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzukomme, dass es mit Schädigungsvorsatz — etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug — missbraucht, dh pervertiert werde. A und Y hätten zu Nötigungszwecken gehandelt, da sie Z „vom Rad holen" wollten und hätten auch mit Verletzungsabsicht gehandelt: A hätte Z „totgeschlagen", wenn dieser nicht gestürzt wäre. Die Feststellungen des LG trügen auch die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gem. § 224 I Nr.5 StGB. Ergänzend weise der Senat darauf hin, dass die Feststellungen des LG zudem eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gem. § 224 I Nr.4 StGB gerechtfertigt hätten. Soweit das LG diese Qualifikation nicht angenommen hätte, sei A hierdurch nicht beschwert. Letzteres gelte auch, soweit das LG A auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 I Nr.1 StGB) verurteilt hätte. Insoweit habe der Senat den Schuldspruch nicht ändern können, weil A auf diesen veränderten rechtlichen Gesichtspunkt nicht hingewiesen worden sei (§ 265 StPO). Die Überprüfung des angefochtenen Urteils weise keine Rechtsfehler zum Nachteil von A auf, sodass die Revision als unbegründet zu verwerfen gewesen sei.

Praxishinweis

An das Merkmal der Zweckentfremdung iSv § 315b StGB sind grundsätzlich hohe Anforderungen zu stellen, vor allem dann, wenn wie im vorliegenden Fall erst situativ eine Verwendung des Fahrzeugs als Waffe realisiert wird und der Täter im Straßenverkehr ein Hindernis bereitet (Hentschel/König/Dauer, § 315b StGB Rn. 10). Wenn es um die Bewertung eines Eingriffs geht, der nicht nur verkehrswidrig, sondern auch verkehrsfremd sein könnte, muss beurteilt werden, ob eine Handlungsweise vorliegt, bei dem das Fahrzeug in einem gänzlich anderen Zusammenhang als – wie typischerweise – zu Fortbewegungszwecken verwendet wird. Schließlich existiert mit § 315c StGB ein eigener Tatbestand für Verstöße, die typischerweise bei der einem Kfz eigentlich zugedachten (verkehrswidrigen) Fortbewegung begangen werden. Aufgrund der Besonderheit des verkehrsfremden Inneneingriffs, kann – wie die Entscheidung zeigt – auch ein Beifahrer oder ein sonstiger Insasse, Täter des § 315b sein. Hierbei kommt es darauf an, dass er im fließenden Verkehr mittels besagter Pervertierung des Fortbewegungsmittels und um anderen zu schaden aktiv wird (OLG Hamm BeckRS 2000, 30102641). Zu diesem Zweck bedarf nicht der absoluten Kontrolle über das Fahrzeug; vielmehr ist es ausreichend, dass der Täter die Beifahrertür öffnet und dabei die Geschwindigkeit des Autos ausnutzt, während der Fahrt in das Lenkrad greifet oder die Handbremse betätigt. Für eine Strafbarkeit nach § 315b StGB muss dem Täter aber immer auch der Schädigungsvorsatz nachgewiesen werden können.

Redaktion beck-aktuell, 13. April 2017.