AG Landstuhl: Einstecken eines Mobiltelefons in eine Ladeschale beim Führen eines Kraftfahrzeugs ist keine «Benutzung»

StVO § 23 Ia

Das Aufnehmen eines im Fahrzeug liegenden Mobiltelefons durch den Fahrer während der Fahrt, um es an einem anderen Ort im Fahrzeug in eine Ladeschale zu stecken, stellt kein tatbestandsmäßiges Verhalten im Sinne des § 23 Abs. 1a StVO dar. (entgegen OLG Oldenburg, Beschl. v. 07.12.2015 - 2 Ss OWi 290/15-juris). (Leitsatz des Gerichts)

AG Landstuhl, Urteil vom 06.02.2017 - 2 OWi 4286 Js 12961/16, BeckRS 2017, 102956

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Dr. Astrid Lilie-Hutz, Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 06/2017 vom 30.03.2017

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Sachverhalt

Dem verkehrsrechtlich nicht vorbelasteten Betroffenen (B) ist vorgeworfen worden, als Fahrer eines Pkw ein Mobiltelefon verbotswidrig benutzt zu haben. Nach Durchführung der Hauptverhandlung hat sich dieser Vorwurf nicht feststellen lassen. Der B hat angegeben, an einer Straßenkreuzung sein in der Frontablage liegendes, mit dem Freisprechsystem verbundenes Handy aufgenommen und in Richtung Mittelkonsole bewegt zu haben, um es dort in die Ladeschale zu stecken. Er habe keine Funktion des Telefons benutzt. Dies habe er auch den Beamten mitgeteilt. Die vernommenen Zeugen haben keine Erinnerung an den konkreten Vorfall. Auf dem Datenerfassungsbeleg, welcher den Zeugen vorgehalten worden ist, ist vermerkt, dass das Handy mit der rechten Hand „festgehalten“ worden sei und dass der B das Handy mit der rechten Hand „bedient“ habe. Was genau der B mit dem Gerät gemacht haben soll, haben die Zeugen nicht angeben können und ist auch nicht in der Akte vermerkt. Der B hat auf dem Datenerfassungsbeleg keine Angaben dazu gemacht, ob er den Verstoß einräumt. Es ist damit einzig bei der Einlassung von verblieben.

Rechtliche Wertung

Das Gericht ist dabei der Ansicht, dass die zugestandene Handlung von B kein tatbestandmäßiges Verhalten im Sinne des § 23 Ia StVO darstelle. Eine anders lautende Entscheidung des OLG Oldenburg sei nicht belastbar, da die dort vorgenommene Auslegung eine unzulässige Erweiterung des Tatbestands beinhalte. Die mittlerweile variantenreiche Rechtsprechung zum „Benutzen“ iSd Norm könne in den einschlägigen Kommentaren nachvollzogen werden. Maßgeblich sei bislang stets der Bezug zu den Telefonfunktionen, auch wenn inzwischen eine Wortlautänderung der Norm („...gehalten werden muss“) in manchem Fall zu abweichenden Ergebnissen führen könne. Es müsse hier zuerst eine Abgrenzung von der Rechtsprechung erfolgen, die die bloße Ortsveränderung des Telefons nicht unter die Norm subsumiere. Das OLG Oldenburg setze das Aufladen des Telefons mit der Nutzung der Funktionen des Telefons gleich, was rechtlich jedoch nicht geboten sei. Denn mit dem gleichen Argument könne man auch die Ortsveränderung tatbestandsmäßig erfassen, da der neue Ablageort einen einfacheren Zugriff auf das Telefon und seine Funktionen böte. Zudem würde die Norm auf diesem Weg zum Einfallstor für gesinnungsstrafrechtliche Tendenzen, da man dem Betroffenen unterstellte, er würde das Telefon noch im Fahrzeug benutzen wollen und das in widerrechtlicher Weise. Wenn B aber beispielsweise ein Headset verwende, dürfe er telefonieren, ebenso bei Nutzung der Freisprechanlage, dann sogar mit dem Telefon in der Hand, so das OLG Stuttgart. Dies unterscheide den vorliegenden Fall auch von einer Entscheidung des OLG Hamm: Das dort thematisierte Verschieben der SIM-Card, um überhaupt eine Nutzung des Mobiltelefons zu ermöglichen, sei etwas ganz anderes als die hier festgestellten Umstände. Das OLG Oldenburg nehme mit seiner Entscheidung eine unzulässige Erweiterung des Tatbestands vor, da eine Auslegung gerade nicht vorgenommen, sondern der Wortlaut am Schutzzweck der Norm erweitert worden sei. Das aber sei eine Analogie und eine solche sei zum Nachteil des Betroffenen unzulässig. Der B sei deshalb aus tatsächlichen Gründen mit der entsprechenden Kostenfolge freizusprechen.

Praxishinweis

Den Kern der vorliegenden Entscheidung des AG bildet die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „benutzen“ iSd § 23 Ia StVO. Hierfür kann richtigerweise gerade nicht jede beliebige Verhaltensweise, welche die Funktionen eines Mobiltelefons tangiert, ausreichen. Vielmehr müssen die Funktionen des Mobiltelefons bedient werden (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, StVO § 23 Rn. 32). Im Einzelfall ist danach zu differenzieren, ob lediglich eine irgendwie geartete Förderung der Funktionen des Mobiltelefons erfolgt oder der Fahrer auf diese tatsächlich zielgerichtet einwirkt. Schon aus Gründen der Unschuldsvermutung verbietet es sich, aus einem bloßen Ladevorgang die Absicht herzuleiten, der Betroffene wolle zu einem späteren Zeitpunkt während des Führens des Fahrzeugs rechtswidrig auf diese zugreifen (so aber OLG Zweibrücken BeckRS 2014, 18414). Zudem offenbart sich bei Betrachtung des Normzwecks und der objektiven Gefährlichkeit der Handlung kein Unterschied, ob der Fahrer das Mobiltelefon in eine Ladestation steckt oder es an einem anderen Ort ablegt. Probleme können aber dann entstehen, wenn es darum geht, Handlungen – die die künftige Bedienung prinzipiell vorbereiten – zu identifizieren; etwa das das Zurechtrücken der SIM-Karte zur Inbetriebnahme (OLG Hamm BeckRS 2008, 02316). Das zum Zweck der Inbetriebnahme des Mobiltelefons vorgenommene Ausrichten der SIM-Karte ist charakteristisch für eine zielgerichtete Vorbereitungshandlung, die unmittelbar auf den Gebrauch des Mobiltelefons hinwirkt, die Aufmerksamkeit des Fahrzeugführers beeinträchtigt und dadurch direkt der Sphäre des Bedienens zuzuordnen ist. Betrachtet man aber den zeitlichen Kontext der Entscheidung des OLG Hamm ist außerdem festzustellen, dass im Jahr 2007 das Justieren einer SIM-Karte eines durchschnittlichen Mobiltelefons mit weiteren Handlungen, wie dem Abnehmen von Gehäusekomponenten oder dem Herausnehmen des Akkus verbunden war. Dies hatte zusätzlich in negativer Weise wesentlichen Einfluss auf die Konzentration des Fahrzeugführers, was heute nicht mehr der Fall ist und daher zu berücksichtigen wäre.

Redaktion beck-aktuell, 31. März 2017.