LSG Berlin-Brandenburg: Kein Alg I für Werkstudenten

SGB III §§ 27, 142, 143; SGG §§ 54, 56

Bei einer Beschäftigung von mehr als 20 Wochenstunden ist davon ausgehen, dass diese Beschäftigung das Erscheinungsbild maßgeblich bestimmt und nicht das Studium. Ein Vollzeitstudium und eine daneben ausgeübte Teilzeitbeschäftigung im Umfang der Hälfte der tariflichen Arbeitszeit indiziert, dass der Student nicht dem Kreis der Arbeitnehmer zuzuordnen ist. (Leitsatz des Verfassers)

LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.03.2017 - L 18 AL 100/16, BeckRS 2017, 106731

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 10/2017 vom 26.05.2017

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Sachverhalt

Der 1963 geborene Kläger wurde mit einem Fachhochschulabschluss aus dem Jahre 2006 zum Diplom-Pflegewirt ernannt und war bis zum 30.11.2012 als Entwicklungshelfer beschäftigt. Vom 01.10.2012 bis 31.07.2014 war er für ein Vollzeitstudium in dem Studiengang Public Health eingeschrieben. Daneben hat er vom 01.09.2013 bis zum 30.04.2014 eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 50 % der tariflichen Arbeitszeit ausgeübt. Der Kläger meldete sich am 21.07.2014 arbeitslos und beantragte Alg I. Die beklagte BA für Arbeit lehnt ab mit der Begründung, der Kläger habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt, weil er nicht mindestens 12 Monate (360 Kalendertage) in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Auf die Klage verurteilt das SG die BA zur Leistung. Der Kläger habe vom 01.09.2013 bis 30.04.2014 trotz seines Studiums in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Zwar seien Studenten während der Dauer ihres Studiums grundsätzlich versicherungsfrei. Indes genüge für die Versicherungsfreiheit nicht der formale Studentenstatus infolge der Immatrikulation, sondern es sei daneben erforderlich, dass das Studium Zeit und Arbeitskraft des Studenten überwiegend in Anspruch nehme und er damit trotz Ausübung einer entgeltlichen Beschäftigung seinem Erscheinungsbild nach Student bleibe. Es komme also auf die Umstände des Einzelfalls an. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die geltend macht, dass die Tätigkeit des Klägers während des Studiums versicherungsfrei gewesen sei. Die Arbeitszeit habe lediglich 19,5 Stunden umfasst. Die Arbeitskraft des Klägers sei während dieser Zeit überwiegend durch das Studium in Anspruch genommen worden.

Entscheidung

Das LSG gibt der Beklagten Recht, hebt das Urteil des SG auf und weist die Klage ab.

Nach § 142 Abs. 1 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist von mindestens 12 Monate in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen. Zu prüfen ist also, ob im Zeitraum vom 20.07.2014 zurückgerechnet bis zum 21.07.2012 ein mindestens 12-monatiges Versicherungspflichtverhältnis vorliegt. Die Tätigkeit als Werkstudent reicht dazu nicht aus. Ob jemand seinem gesamten Erscheinungsbild nach Student oder Arbeitnehmer ist, ist vielmehr nach einer auf den Beginn der Beschäftigung abzustellenden, vorausschauenden Betrachtungsweise zu beurteilen. Fehlt es an einem prägenden inneren Zusammenhang zwischen Studium und ausgeübter Beschäftigung, kommt es für die Annahme von Versicherungsfreiheit maßgeblich auf die zeitliche Unterordnung der Beschäftigung unter das Studium an. Für Teilzeitstudenten gilt, dass die Inanspruchnahme des Studentenprivilegs grundsätzlich ausgeschlossen ist, wenn die Studienordnung vorsieht, dass eine Immatrikulation als Teilzeitstudent nur stattfindet, wenn jemand wegen einer gleichzeitig ausgeübten beruflichen Tätigkeit oder einer gleichartigen zeitlichen Belastung nicht mehr als die Hälfte des für das Vollzeitstudium vorgesehene Studienumfangs erbringen kann. Dies war hier indes nicht der Fall, da das Studium von vornherein als Vollzeitstudium durchgeführt wurde. Auch die Gewährung einer Bearbeitungszeit von 6 Monaten für die Abschlussarbeit hat nicht zu einer förmlichen Änderung i.S. eines Teilzeitstudiums geführt. Die allgemeine 20-Stunden-Grenze lässt von Ausnahmen abgesehen eine klare Abgrenzung zu. Ein Vollzeitstudium und eine daneben ausgeübte Teilzeitbeschäftigung im Umfang von der Hälfte der tariflichen Arbeitszeit indiziert, dass der Student nicht dem Kreis der Arbeitnehmer zuzuordnen ist. So lag es beim Kläger.

Praxishinweis

1. Auch während der Abschlussphase des Master-Studiengangs bleibt das Erscheinungsbild als Student maßgeblich. Auch aus Praktikabilitätsgründen und wegen der Notwendigkeit der gleichmäßigen Behandlung berufstätiger Studenten nimmt eine Beschäftigung erst eine das Bild eines Studiums verdrängende prägende Bedeutung ein, wenn sie außerhalb der Semesterferien regelmäßig 20 Stunden und mehr in der Woche ausgeübt wird.

2. Siehe hierzu auch LSG Sachsen (BeckRS 2016, 114773), wonach der Studiengang „Diplom-Betriebswirt“ (BA), Studienrichtung Steuerberatung/Prüfungswesen, an der Berufsakademie Sachsen einen praxisintegrierten dualen Studiengang darstellt, so dass nach dem bis zum 31.12.2011 geltenden Recht eine Arbeitslosenversicherungspflicht nicht eingetreten ist. Mit Wirkung zum 01.01.2012 wurde § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB III dahingehend geändert, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dualen Studiengängen den Beschäftigten zur Berufsausbildung gleichstehen, dazu Brand, in SGB III, § 25 Rn. 35.

Redaktion beck-aktuell, 31. Mai 2017.