LSG Baden-Württemberg: Sperrzeit nach Altersteilzeitvertrag

SGB III § 159

1. Wer durch den Abschluss eines Altersteilzeitvertrages sein Beschäftigungsverhältnis mit dem Arbeitgeber löst, handelt i.S.d. § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGB III vorsätzlich. Für die Arbeitsaufgabe ist im Hinblick auf Sinn und Zweck des Altersteilzeitgesetzes ein wichtiger Grund gegeben, wenn ein Arbeitnehmer bei Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung beabsichtigt hatte, nahtlos unter Altersteilzeit in den Rentenbezug zu wechseln und davon auch prognostisch auszugehen war.

2. Ohne wichtigen Grund verhält sich i.S.d. § 159 SGB III versicherungswidrig, wer nach Ende der Freistellungsphase mit dem Rentenantrag abwartet, um anstelle einer vorgezogenen Altersrente mit Abschlägen die Rente gem. § 236b SGB VI für besonders langjährig Versicherte ohne Abschläge in Anspruch nehmen kann. (Leitsätze des Verfassers)

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.02.2017 - L 8 AL 3805/16, BeckRS 2017, 104169

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 07/2017 vom 13.04.2017

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Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch auf Alg I für die Zeit vom 01.06.2016 bis 23.08.2016 streitig. Die 1954 geborene Klägerin war seit 1973 beim Landkreis als Bürofachkraft beschäftigt. Im November 2006 vereinbarten sie und ihr Arbeitgeber ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell, welches zum 31.05.2016 endete. Die Klägerin bezieht jedoch keine Rente – wie ursprünglich beabsichtigt –, sondern sie beabsichtigt zum 01.10.2017 die Altersrente für langjährig Versicherte abschlagsfrei in Anspruch zu nehmen. Sie meldete sich am 24.3.2016 bei der Beklagten arbeitssuchend und arbeitslos und beantragte mit Wirkung ab 01.06.2016 Alg I. Die Beklagte bewilligte Alg für eine maximale Dauer von 720 Kalendertagen und stellte einen Zahlungsanspruch ab dem 24.08.2016 fest. Mit angefochtenem Bescheid vom 30.06.2016 stellte die beklagte BA den Eintritt einer Sperrzeit vom 01.06.2016 bis 23.08.2016 fest. In dieser Zeit ruhe der Anspruch auf Alg I, weil die Klägerin ihr Beschäftigungsverhältnis beim Arbeitgeber durch Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung mit Ablauf des 31.05.2016 selbst gelöst habe und dabei voraussehen musste, dass sie dadurch ab dem 01.06.2016 arbeitslos sein würde, sofern sie ihre Rentenansprüche nicht geltend mache. Die Klägerin wendet ein, zu Beginn der Altersteilzeit ihre Mutter zuhause gepflegt zu haben. Es sei damals abzusehen gewesen, dass sich der Pflegezustand massiv verschlechtern werde. Im Jahre 2006 sei die Neuregelung, was die Rente für besonders langjährig Versicherte anlangt, nicht bekannt gewesen. Erst im Jahre 2015 habe sie erfahren, dass sie gem. § 236b SGB VI Anspruch auf abschlagsfreie Altersrente ab dem 01.10.2017 hat.

Das SG weist die Klage ab, da die Beklagte zutreffend den Eintritt einer Sperrzeit nebst Minderung der Anspruchsdauer um 180 Tage festgestellt habe. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die geltend macht, von einer versicherungswidrigen Verhaltensweise könne nicht gesprochen werden.

Entscheidung

Das LSG weist die Berufung zurück.

Die Klägerin hat ihr Beschäftigungsverhältnis gelöst, indem sie durch Vereinbarung mit der früheren Arbeitgeberin ihr unbefristetes Arbeitsverhältnis im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung in ein befristetes umgewandelt hat. Dadurch ist sie nach Ende der Freistellungsphase beschäftigungs- und arbeitslos geworden. Mit Abschluss des Altersteilzeitvertrages hat sie sich bewusst mit Wirkung zum 01.06.2016 von ihrem Beschäftigungsverhältnis gelöst. Damit ist Beschäftigungslosigkeit i.S.d. § 138 SGB III eingetreten. Die Klägerin hat diese Beschäftigungslosigkeit auch vorsätzlich herbeigeführt. Auf die subjektiven Vorstellungen im Zeitpunkt des Abschlusses der Altersteilzeitvereinbarung, nämlich das Erwerbsleben insgesamt zu beenden, kommt es nicht an.

Diese versicherungswidrige Verhaltensweise der Klägerin begründet eine Sperrzeit, da sie für ihr Verhalten keinen „wichtigen Grund“ i.S.d. § 159 SGB III hat. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Altersteilzeitvertrages mag ein wichtiger Grund für die Lösung ihres Beschäftigungsverhältnisses vorgelegen haben, da sie zu diesem Zeitpunkt beabsichtigte, im unmittelbaren Anschluss an die Beendigung in die Altersrente zu wechseln. Dennoch hat sich die Klägerin versicherungswidrig verhalten, da sie nicht dieser Absicht entsprechend zum 01.06.2016 Altersrente beantragt hat, also noch nicht „in Rente gegangen“ ist, ohne für die Änderung ihrer Absicht einen wichtigen Grund im Sinne des Sperrzeittatbestandes zu haben. Über das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist unter Berücksichtigung des Ziels der Sperrzeitregelung zu entscheiden. Die Versichertengemeinschaft soll sich gegen Risikofälle wehren, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat, oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft. Zwar ist im Hinblick auf Sinn und Zweck des Altersteilzeitgesetzes grundsätzlich ein wichtiger Grund für die Arbeitsaufgabe gegeben, wenn ein Arbeitnehmer bei Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung beabsichtigt hatte, nahtlos von der Altersteilzeit in den Rentenbezug zu wechseln oder davon auch prognostisch auszugehen war. Entscheidend ist aber, dass der wichtige Grund nicht nur isoliert beim Abschluss des Altersteilzeitvertrags vorliegt, sondern darüber hinaus bestehen bleibt. Trotz des Vorliegens eines wichtigen Grundes zum Zeitpunkt des Abschlusses der Altersteilzeitvereinbarung hat sich die Klägerin ohne wichtigen Grund versicherungswidrig verhalten, indem sie nicht entsprechend der früheren Absicht ab 01.06.2016 Altersrente in Anspruch genommen, sondern sich zum 01.06.2016 arbeitslos gemeldet hat. Das aktive Tun der Klägerin war also nicht auf die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gerichtet, sondern auf das Unterlassen des Rentenantrags, der einen nahtlosen Rentenbezug ermöglicht hätte und auf die Beantragung einer Rente mit späterem Rentenbeginn.

Praxishinweis

1. Die sehr lesenswerte Entscheidung befasst sich abschließend mit der Frage, ob die Absicht der Klägerin, ihre Mutter zu pflegen, einen wichtigen Grund darstelle. Auch dies wird verneint, zumal die Mutter im Jahre 2014 verstorben ist.

2. Die Tatsache, dass das RV-Leistungsverbesserungsgesetz erst lange nach Abschluss des Altersteilzeitvertrages in Kraft getreten ist und eine günstigere Rentenoption rechtfertigt, hätte die Klägerin veranlassen müssen, alles zu unternehmen, um die Arbeitslosigkeit zu vermeiden, insbesondere bei ihrem bisherigen Arbeitgeber einerseits und anderen Arbeitgebern um Beschäftigung bemühen müssen. Das hat die Klägerin nicht getan. Die Sperrzeit dauert 12 Wochen. Eine unbillige Härte mit der Folge der Herabsetzung der Sperrzeit kann das Gericht nicht feststellen, so dass sich der Anspruch auf Alg I um ein Viertel der Anspruchsdauer vermindert.

3. Das LSG  Berlin-Brandenburg hat in einem vergleichbaren Fall (BeckRS 2016, 110160) den Sperrzeitbescheid aufgehoben mit der Begründung, die dortige Klägerin habe sich auf einen wichtigen Grund berufen können. Eine Übersicht über aktuelle Rechtsprechung zu den verschiedenen Konstellationen im Zusammenhang mit Altersteilzeitvereinbarungen gibt Müller, NZS 2017, 172. Ausführlich zum Thema Aufhebungsvertrag vergl. Maaß, ZAP 2017, 309 ff.

Redaktion beck-aktuell, 19. April 2017.