LG Mannheim: Keine zusätzliche Gebühr bei Absprache einer Entscheidung im Strafbefehlsverfahren

VV 4141 RVG

Bei der zusätzlichen Gebühr VV 4141 RVG handelt es sich um eine grundsätzlich eng auszulegende Ausnahme vom Grundsatz, dass die anwaltliche Tätigkeit zur Beratung seines Mandanten, wie er sich –auch prozessual – im Strafverfahren verhalten soll, durch die Grund- und Verfahrensgebühr nach VV 4100 RVG sowie VV 4106 RVG (für das amtsgerichtliche Verfahren) abgegolten sein soll und nur für die Wahrnehmung von Terminen weitere Gebühren anfallen. VV 4141 RVG ist nicht entsprechend anwendbar, wenn der Verteidiger auf den Erlass eines – vom Angeschuldigten akzeptierten – Strafbefehls hinwirkt und dadurch eine Hauptverhandlung vermieden wird. (von der Schriftleitung bearbeiteter Leitsatz des Gerichts)

LG Mannheim, Beschluss vom 07.04.2017 - 6 Qs 9/16, BeckRS 2017, 107375

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 09/2017 vom 04.05.2017

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Sachverhalt

Der mittlerweile Verurteilte M. K. hatte am 30.5.2015 den Geschädigten I. K. tätlich angegriffen und mit mehreren Faustschlägen traktiert. Nachdem seitens der Polizei am gleichen Tag die Ermittlungen aufgenommen worden waren, zeigte Rechtsanwalt A. mit Schreiben vom 18.6.2015 die Übernahme der Verteidigung des – damals – Beschuldigten an. Mit Schreiben vom 11.8.2015 nahm der Verteidiger ausführlich Stellung und regte die Erledigung des Verfahrens im Strafbefehlswege an. Für diesen Fall beantragte er seine Beiordnung als Pflichtverteidiger gem. § 408b StPO. Mit Verfügung vom 26.8.2015 beantragte die Staatsanwaltschaft Mannheim den Erlass eines Strafbefehls gegen M. K. wegen Körperverletzung und der Verhängung einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Zugleich beantragte die Staatsanwaltschaft Mannheim die Beiordnung von Rechtsanwalt A. als Pflichtverteidiger gem. § 408b StPO.

Am 2.9.2015 erließ das Amtsgericht Mannheim antragsgemäß den Strafbefehl gegen M. K. Mit Beschluss vom 14.9.2015 bestellte es Rechtsanwalt A. antragsgemäß zum Pflichtverteidiger gem. § 408b StPO. Einspruch gegen den Strafbefehl wurde nicht eingelegt. Dieser wurde rechtskräftig. In der Folge beantragte Rechtsanwalt A beim AG Mannheim die Kostenfestsetzung und stellte ua eine Gebühr VV 4141, 4106 RVG wegen Mitwirkung bei der Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung in Rechnung. Durch Festsetzungsbeschluss vom 5.10.2015 wurden die an den Verteidiger zu zahlenden Gebühren und Auslagen festgesetzt, wobei die geltend gemachte Gebühr gem. VV 4141 RVG zum Abzug gebracht wurde, da eine Entscheidung nach § 411 I 3 StPO, die die Gebühr auslösen könnte, nicht ergangen sei. Hiergegen legte der Verteidiger Erinnerung ein und führte ua aus, faktisch habe es sich um eine Verständigung gehandelt, da seine Anregung logischerweise den Sinn gehabt habe, das Verfahren im Strafbefehlswege zur Erledigung zu bringen. Hierzu seien über den Schriftsatz vom 11.8.2015 hinaus mindestens vier ausführliche Telefonate mit der zuständigen Staatsanwältin geführt worden. Nachdem die Rechtspflegerin der Erinnerung nicht abgeholfen hatte, wies auch das AG Mannheim die Erinnerung als unbegründet zurück. Gegen diesen Beschluss legte der Verteidiger Beschwerde ein, die Beschwerde hatte vor dem LG Mannheim keinen Erfolg.

Rechtliche Wertung

Die Voraussetzungen der Festsetzung der Gebühr nach VV 4141 RVG lägen nicht vor und für eine entsprechende Anwendung auf die vorliegende Konstellation sei kein Raum. Der Wortlaut von VV 4141 RVG erfasse den Fall, dass durch die Mitwirkung des Verteidigers eine Hauptverhandlung entbehrlich werde, weil erst durch seine Mitwirkung ein Strafbefehlsantrag, der vom Beschuldigten akzeptiert wird, erwirkt wird, nicht. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers seien die Gebührentatbestände des Vergütungsverzeichnisses auch als abschließend zu verstehen; hierfür spreche nicht nur der Wortlaut – bei VV 4141 RVG handele es sich ersichtlich nicht um eine beispielhafte Aufzählung –, sondern auch Systematik und Sinn und Zweck des Vergütungsverzeichnisses zum RVG. Die Entstehung der Gebühren solle im Vergütungsverzeichnis gerade klar und eindeutig geregelt werden, was sich in den sehr detaillierten Gebührentatbeständen auch zeige. Bei VV 4141 RVG handele es sich zudem um eine grds. eng auszulegende Ausnahme vom Grundsatz, dass die anwaltliche Tätigkeit zur Beratung seines Mandanten, wie er sich – auch prozessual – im Strafverfahren verhalten solle, durch die Grund- und Verfahrensgebühr nach VV 4100 RVG sowie VV 4106 RVG (für das amtsgerichtliche Verfahren) abgegolten sein solle und nur für die Wahrnehmung von Terminen weitere Gebühren anfallen.

Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf die vorliegende Konstellation komme auch nicht in Betracht. Eine planwidrige Regelungslücke bestehe nicht. Dem Gesetzgeber sei beim Erlass des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, bei dem VV 4141 Anm. I Nr. 4 RVG eingefügt und auch in anderen Bereichen geändert wurde, die vorliegende sowie ähnliche Konstellationen, in denen möglicherweise eine vergleichbare Interessenlage wie bei den in VV 4141 Anm. I RVG geregelten Fällen gegeben ist, bekannt, ohne dass er eine Regelung getroffen hätte. Dies könne im Einzelfall unbillig erscheinen; der Gesetzgeber habe aufgrund der Vielzahl möglicher Konstellationen, die zur Beantragung eines konkreten Strafbefehls führen, aber bewusst den einfachen Fall der Entscheidung durch Strafbefehl nicht in VV 4141 RVG aufgenommen. Dass der Gesetzgeber auch nicht beabsichtigte, entsprechende faktische Verständigungen mit der Staatsanwaltschaft über die Beantragung eines Strafbefehls mit einer zusätzlichen Gebühr zu honorieren, zeige sich auch darin, dass das Vergütungsverzeichnis zum RVG auch ansonsten keinerlei zusätzliche Gebühren für den Verteidiger vorsehe, der an einer Verständigung mitwirke, obwohl dies gleichfalls für ihn sehr zeitaufwändig sein könne und im Einzelfall – gerade im Hinblick auf die dadurch bedingte Verfahrensverkürzung – gar unbillig erscheinen könne.

Praxistipp

Dass kein Anlass besteht, VV 4141 RVG über den Wortlaut hinaus erweiternd auszulegen, hatte bereits das OLG Nürnberg (BeckRS 2009, 20314 mAnm Mayer FD-RVG 2009, 290012) entschieden. In der Literatur wird jedoch die Auffassung vertreten, dass die Gebühr VV 4141 RVG auch dann zugebilligt werden sollte, wenn sich der Verteidiger mit der Staatanwaltschaft und dem Gericht im Rahmen einer Absprache darüber einigt, dass ein Strafbefehl ergehen solle, der vom Mandanten anerkannt wird, sodass kein Einspruch eingelegt wird (Burhoff in Gerold/Schmidt, 22. Aufl. 2015, VV 4141 RVG Rn. 33). Es wäre daher sinnvoll, wenn de lege ferenda der Gesetzgeber insoweit regelnd eingreift.

Redaktion beck-aktuell, 9. Mai 2017.