BGH: Keine Kenntnis von Zahlungseinstellung allein aufgrund Zahlungsvereinbarung mit Gerichtsvollzieher

InsO §§ 17 II 2, 133 I; ZPO § 806b aF

Erklärt sich der Schuldner einer geringfügigen Forderung gegenüber dem Gerichtsvollzieher zum Abschluss einer Zahlungsvereinbarung bereit, muss der Gläubiger allein aus diesem Umstand nicht zwingend darauf schließen, dass der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Urteil vom 06.07.2017 - IX ZR 178/16 (LG Köln), BeckRS 2017, 121832

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Dr. Pascal Schütze, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 19/2017 vom 22.09.2017

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Sachverhalt

Der ein Dachdeckergeschäft betreibende Schuldner hatte gegenüber dem Beklagten aus einer einmaligen geschäftlichen Verbindung resultierende Verbindlichkeiten iHv 1.675 EUR, deren Begleichung der Beklagte drei Mal beim Schuldner – fruchtlos – anmahnte. Der Beklagte erwirkte daraufhin einen Vollstreckungsbescheid. Über die seit rund 8 Monaten fällige Forderung schloss der mit der Vollstreckung des Titels vom Beklagten beauftragte Gerichtsvollzieher mit dem Schuldner eine Ratenzahlungsvereinbarung, wonach der Schuldner monatliche Raten iHv 200 EUR bezahlte. Der Gerichtsvollzieher teilte dem Beklagten anlässlich der Information über das Ratenzahlungsangebot mit, dass der Schuldner seiner Auffassung nach in der Lage sei, die Ratenzahlung zu erbringen. Die außerhalb des 3-Monats-Zeitraums vom Schuldner an den Gerichtsvollzieher geleisteten Ratenzahlungen verlangt der klagende Verwalter nach Insolvenzverfahrenseröffnung über das Vermögen des Schuldners, gestützt auf Vorsatzanfechtung, von dem Beklagten zurück.

Sowohl das AG als auch das LG Köln haben die Klage des Verwalters abgewiesen. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision wurde vom Neunten Zivilsenat des BGH auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Entscheidung

Nach dem BGH hätten aufgrund des revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhaltes die an den Gerichtsvollzieher geleisteten Zahlungen zwar Rechtshandlungen dargestellt, die zu einer Gläubigerbenachteiligung geführt und auch von dem Schuldner mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz – vor der ersten angefochtenen Zahlung hätten nach den tatrichterlichen Feststellungen gegen den Schuldner fällige Forderungen weiterer Gläubiger in Höhe von mehr als 91.000 EUR bestanden, welche bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr zurückgeführt worden seien – vorgenommen worden seien.

Allerdings fehle es in subjektiver Hinsicht bei § 133 I InsO aF – im Streitfall handelte es sich um einen sog. Altfall, da die Insolvenzverfahrenseröffnung vor dem 5.4.2017 erfolgte – an der erforderlichen Kenntnis des Beklagten vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners. Die Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes werde gem. § 133 I 2 InsO aF vermutet, wenn der andere Teil gewusst habe, dass die Zahlungsunfähigkeit drohe und die Handlung die Gläubiger benachteilige. Die Würdigung des Berufungsgerichts, wonach der im erstmaligen Geschäftskontakt zu dem Schuldner stehende Beklagte aus der Tatsache, dass der Schuldner die verhältnismäßig geringfügige Forderung erst nach dreimaliger außergerichtlicher Mahnung und Erlass eines Vollstreckungsbescheids im Rahmen einer mit dem Gerichtsvollzieher gem. § 806b ZPO aF geschlossenen Zahlungsvereinbarung beglichen habe, nicht zwingend auf die aus einer Zahlungseinstellung herrührende Zahlungsunfähigkeit (§ 17 II 2 InsO) habe schließen müssen, sei revisionsrechtlich hinzunehmen. Die zwangsweise Durchsetzung einer Forderung ermögliche – für sich betrachtet – keinen zwingenden Schluss auf Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung. Der Gläubiger, welcher sich mangels näherer Kenntnisse über die Liquiditätslage des Schuldners der staatlichen Zwangsmittel zur Forderungsdurchsetzung bediene, unterliege außerhalb des von den Normen der besonderen Insolvenzanfechtung geschützten Zeitraums grundsätzlich keinen vom Anfechtungsrecht ausgehenden Beschränkungen. Auch das Wissen um die ausbleibende oder stockende Tilgung einer verhältnismäßig geringen Forderung begründe regelmäßig noch nicht die Kenntnis des Gläubigers von einer Zahlungseinstellung. Die schleppende Berichtigung einer nicht auffallend hohen Verbindlichkeit könne verschiedene Ursachen haben und müsse nicht zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hindeuten. Der Beklagte habe als außenstehender Gläubiger keinen Gesamtüberblick über die Liquiditäts- oder Zahlungslage des Schuldners gehabt. Entscheidend sei auch, dass der Geschäftskontakt zwischen dem Schuldner und dem Beklagten sich auf die einmalige Ausführung von Werkleistungen beschränkt habe. Dem Beklagten sei es deshalb nicht möglich gewesen, aus dem vorausgegangenen Zahlungsverhalten eindeutige Rückschlüsse auf die finanzielle Situation des Schuldners zu ziehen.

Insbesondere könne allein aus der Tatsache, dass mit dem Gerichtsvollzieher eine Zahlungsvereinbarung nach § 806b ZPO aF geschlossen worden sei, kein zwingendes Indiz für eine Zahlungseinstellung abgeleitet werden. Würden dem Gläubiger – wie im Streitfall – im Rahmen der Vollstreckung keine über die durch den Gerichtsvollzieher mitgeteilte, grundsätzliche Fähigkeit und Bereitschaft des Schuldners, die ausstehende Schuld kurzfristig in Teilbeträgen zu tilgen, hinausgehenden Tatsachen bekannt werden, begründe der Abschluss einer Zahlungsvereinbarung nach § 806b ZPO aF für sich betrachtet keine Anfechtbarkeit der empfangenen Zahlungen. Bei der Forderung handele es sich auch nicht um eine zur Betriebsfortführung notwendige, fortlaufende Verbindlichkeit wie Sozialabgaben, Steuern, Mieten oder Lohnzahlungen.

Praxishinweis

In seiner Entscheidung führt der BGH gemäß seiner ständigen Rechtsprechung zunächst aus, dass das Vorliegen des subjektiven Tatbestands der Vorsatzanfechtung und insbesondere die Vermutungsregelung des § 133 I 2 InsO aF, also die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, über sogenannte Beweisanzeichen bzw. Indizien vom Verwalter im Anfechtungsprozess belegt werden kann. Der Tatrichter hat diese Beweisanzeichen im Rahmen einer Gesamtwürdigung und einer etwaigen Beweisaufnahme nach § 286 ZPO zu bewerten. Die hierfür entwickelten Indizien werden vom BGH im Einzelnen geprüft. Dabei bestätigt der BGH, dass allein die Bitte des Schuldners auf Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung kein Indiz für eine Zahlungseinstellung oder Zahlungsunfähigkeit ist (vgl. BGH BeckRS 2015, 07653 Rn. 3 mAnm Kiesel FD-InsR 2015, 369022). Der BGH hatte in mehreren Entscheidungen vor der Anfechtungsreform deutlich gemacht, dass eine sich im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs haltende Ratenzahlungsvereinbarung, wenn diese nicht mit einer Erklärung des Schuldners verbunden ist, die fälligen Verbindlichkeiten (anders) nicht begleichen zu können, kein ausreichendes Beweisanzeichen zur Bejahung des subjektiven Tatbestands der Vorsatzanfechtung ist. Dies erweitert der BGH nunmehr auch auf entsprechende Zahlungsvereinbarungen nach § 806b ZPO aF. Der BGH begründet dies auch mit dem Argument, dass andernfalls ein Einzelgläubiger gehalten sei, sein Einverständnis zum Abschluss einer solchen Vereinbarung aufgrund der hierdurch erst eröffneten Vorsatzanfechtung zu versagen. Für Neufälle ergibt sich dies nunmehr aus § 133 III 2 InsO, wonach bei einer Zahlungsvereinbarung vermutet wird, dass der Anfechtungsgegner zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte. Dieser Fall ist daher ein weiterer Beleg dafür, dass die bereits jetzt vielfach kritisierte neue Vermutungsregelung auch aus Sicht des Anfechtungsgegners nicht erforderlich war.

Redaktion beck-aktuell, 26. September 2017.