BAG: Kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung eines gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens

BetrVG § 99 I 1, IV 1; BGB § 241 II

Verweigert der Betriebsrat die nach § 99 I 1 BetrVG erforderliche Zustimmung zu einer Einstellung, hat der betroffene Arbeitnehmer nach § 241 II BGB gegen den Arbeitgeber keinen Anspruch auf Durchführung eines gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens. (Orientierungssatz des Gerichts)

BAG, Urteil vom 21.02.2017 - 1 AZR 367/15 (LAG Hamm), BeckRS 2017, 108329

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Dr. Frank Merten, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 21/2017 vom 1.6.2017

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Sachverhalt

Der Kläger ist als Bereichsleiter bei der Beklagten, die mehrere Spielbanken betreibt, beschäftigt. Die Beklagte beantragte beim Betriebsrat die Versetzung des Klägers in eine andere Spielbank. Der Betriebsrat des aufnehmenden Betriebs verweigerte seine Zustimmung. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens gegen den Betriebsrat. Das ArbG wies die Klage ab, das LAG gab ihr statt.

Entscheidung

Das BAG hob die Entscheidung des LAG auf und stellte die Entscheidung des ArbG wieder her. Zur Begründung führt es aus, dass dem Kläger kein Anspruch gegen die Beklagte auf Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens i.S.v. § 99 IV BetrVG zustehe. Nach der Rspr. des BAG könne die Einleitung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens zwar verlangt werden, wenn sich der Arbeitgeber zur Durchführung dieses Verfahrens im Wege einer Selbstbindung verpflichtet habe oder wenn kollusives Zusammenwirken zwischen den Betriebsparteien vorliege. Beides sei hier indes nicht gegeben. Außerdem verpflichte der in § 81 IV 1 Nr. 1 SGB IX gesetzlich verankerte Beschäftigungsanspruch schwerbehinderter Menschen den Arbeitgeber, das gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen, wenn er erkennt, dass die geltend gemachten Zustimmungsverweigerungsgründe tatsächlich nicht vorliegen. Auch dieser Fall liege hier indes nicht vor.

Ein über diese Fälle hinausgehender Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Durchführung eines gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens ergebe sich schließlich entgegen der Ansicht des LAG auch nicht aus der Rücksichtnahmepflicht nach § 241 II BGB. Danach sei zwar jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Um die Voraussetzungen zur Erfüllung des Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers zu schaffen, habe der Arbeitgeber auch eine nach § 99 I 1 BetrVG erforderliche Zustimmung beim Betriebsrat einzuholen. Die Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 II BGB verlange von ihm aber nicht, bei einer Zustimmungsverweigerung ein gerichtliches Verfahren nach § 99 IV BetrVG gegen den Betriebsrat durchzuführen. Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht gebiete dem Arbeitgeber weder, das mit der Durchführung eines gerichtlichen Beschlussverfahrens verbundene Verfahrens- und Kostenrisiko auf sich zu nehmen, noch müsse er das Risiko eingehen, dass aus einer solchen gerichtlichen Auseinandersetzung weitere betriebliche Konflikte resultieren. Dabei sei es unerheblich, aus welchem Grund der Betriebsrat die Zustimmung verweigert habe, da das gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren keinen individualrechtlichen Schutz bezwecke, sondern ausschließlich der Kompetenzbestimmung und -abgrenzung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat diene.

Der Arbeitnehmer sei auch nicht schutzlos gestellt, wenn der Arbeitgeber kein Zustimmungsersetzungsverfahren durchführe. Ein bereits abgeschlossener Arbeitsvertrag sei – sofern er nicht unter der Bedingung einer Zustimmungserteilung durch den Betriebsrat geschlossen wurde – auch bei verweigerter Zustimmung des Betriebsrats wirksam. Die mitbestimmungswidrige Einstellung führe zwar zu einem betriebsverfassungsrechtlichen Beschäftigungsverbot. Für die Dauer der Nichtbeschäftigung schulde der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer jedoch Annahmeverzugslohn nach § 615 BGB.

Praxishinweis

Das BAG führt seine Rspr. zur Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens fort (vgl. BAG, FD-ArbR 2010, 308353 m. Anm. Buschbaum; ArbRAktuell 2010, 424 m. Anm. Schütte; ArbRaktuell 2015, 582 m. Anm. Gerstner) und bestätigt, dass Arbeitnehmer nur im Ausnahmefall einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 IV BetrVG haben. Zu beachten ist aber, dass auch außerhalb solcher Ausnahmefälle der Arbeitgeber auf Grund seiner vertraglichen Rücksichtnahmepflicht gehalten sein kann, ein ihm vertraglich zustehendes Weisungsrecht (neu) auszuüben und dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit zuzuweisen oder dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Vertragsanpassung zustehen kann, wenn damit eine anderweitige mitbestimmungsgemäße Beschäftigungsmöglichkeit eröffnet wird.

Redaktion beck-aktuell, 8. Juni 2017.